In großen Unternehmen scheitern durchschnittlich 70 bis 85 Prozent aller Veränderungsinitiativen. Nach unserer langjährigen Erfahrung liegt dies insbesondere an fehlender Berücksichtigung sozialer und emotionaler Aspekte wie unzureichender Empathie und Motivationsfähigkeit der Führungskräfte (neben anderen Gründen, warum Transformationen scheitern). Kürzlich hatten wir die Gelegenheit, unsere Ideen, wie Veränderungen in großen Unternehmen gelingen können, der Lean Excellence-Abteilung der Deutschen Bahn mit über 200.000 Mitarbeitern allein in Deutschland vorzustellen. Wir sprachen insbesondere darüber, dass Führungskräfte sich der Anti-Change-DNA ihrer Mitarbeiter und der Veränderungskurve, die sie durchlaufen, bewusst sein müssen. Außerdem sollten sie mehrdimensionale Veränderungen entkoppeln und ihr politisches Verhalten kritisch hinterfragen. Darauf gehen wir in diesem Blogbeitrag näher ein.
1. Anti-Change-DNA berücksichtigen
Um die Frage zu beantworten, wie Veränderungen in großen Organisationen gelingen können, sollte man sich zunächst der menschlichen Anti-Change-DNA bewusst sein. Denn Menschen reagieren auf Veränderungen auf bestimmte Weise: Angst, Widerstand, Skepsis und Besorgnis sind häufige Reaktionen auf die Unsicherheit, die Veränderungen mit sich bringen. Leider gehen viele Führungskräfte nicht auf diese Reaktionen ein.
Stattdessen verlassen sie sich zu sehr auf Top-down-Kommunikation und gehen davon aus, dass die Beschäftigten Anweisungen kritiklos befolgen. Veränderungen erfordern jedoch emotionale Akzeptanz und nicht nur intellektuelles Verständnis. Daher sollten Führungskräfte einen empathischeren und integrativeren Ansatz verfolgen. Das bedeutet:
- Emotionen anerkennen: Ängste und Widerstände sind fest in unserer DNA verankert.
- Klarheit schaffen: Unsicherheit kann Ängste hervorrufen, daher ist eine transparente Kommunikation über das Was, Warum und Wie der Veränderung entscheidend.
- Beschäftigte einbeziehen: Durch die Einbindung der Teammitglieder in den Veränderungsprozess können Führungskräfte deren Erkenntnisse nutzen und die Eigenverantwortung fördern.
Wenn Führungskräfte die menschliche Seite von Veränderungen ignorieren, laufen sie Gefahr, genau die Menschen zu verlieren, die für den Erfolg entscheidend sind.
2. Veränderungsmüdigkeit und übermäßige Komplexität vermeiden
Ein weiterer wichtiger Grund für das Scheitern von Veränderungsprojekten ist die Veränderungsmüdigkeit. In großen Unternehmen ist es nicht ungewöhnlich, dass Beschäftigte gleichzeitig mit mehreren solcher Initiativen konfrontiert sind, die jeweils Zeit, Energie und Konzentration erfordern. Laut Gartner Research hatte der durchschnittliche Beschäftigte im Jahr 2022 zehn Veränderungen erlebt – beispielsweise eine Umstrukturierung, einen Kulturwandel oder ein neues IT-System.
Diese Flut von Veränderungen kann Menschen überfordern und zu Burnout, Desinteresse und Produktivitätsverlusten führen. Beschäftigte durchlaufen in der Regel bei jeder Veränderung eine psychologische „Veränderungskurve“ mit den Phasen Schock, Verleugnung, Angst, Wut, Trauer und Akzeptanz. Werden zu viele Veränderungen gleichzeitig eingeführt, ist es für den Einzelnen schwierig, diese Phasen effektiv zu durchlaufen. Sie bleiben in Frustration oder Verleugnung stecken.
Führungskräfte können Veränderungsmüdigkeit mindern, indem sie
- Initiativen priorisieren: Konzentrieren Sie sich auf die wichtigsten Projekte und verschieben oder konsolidieren Sie weniger dringende Veränderungen.
- Veränderung entschleunigen: Geben Sie den Mitarbeitern Zeit, sich anzupassen und sich zu erholen, bevor Sie neue Initiativen einführen.
- In Übergangsphasen helfen: Bieten Sie Schulungen, Ressourcen und emotionale Unterstützung an, um den Mitarbeitern zu helfen, die Veränderungskurve zu bewältigen.
Die Grenzen menschlicher Veränderungsfähigkeit zu erkennen, ist unerlässlich, um die Dynamik aufrechtzuerhalten und sinnvolle Ergebnisse zu erzielen.
3. Funktionale Führungsteams befähigen
Was ebenfalls dazu beitragen kann, dass Veränderungen in großen Organisationen funktionieren, ist ein kultureller Wandel und eine Änderung der Denkweise im politischen Verhalten von Führungskräften. Aus unserer langjährigen Beratungserfahrung wissen wir, dass zu diesem toxischen Verhalten Folgendes gehört:
- interne Konflikte über Rollen und Verantwortlichkeiten,
- Führungskräfte, die sich selbst in Szene setzen,
- das Zurückhalten von Informationen, um eigene Interessen zu schützen,
- Intrigen und das Bilden von Allianzen zum persönlichen Vorteil und
- eine mangelhafte Fehlerkultur.
Ein solches Verhalten widerspricht allen Prinzipien eines funktionierenden Teams. Gegenseitiges Vertrauen und psychologische Sicherheit können nur in einer Kultur gedeihen, in der Führung nach dem Prinzip „Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser“ funktioniert.
Ein Mangel an psychologischer Sicherheit – wenn Teammitglieder Angst haben, ihre Meinung zu äußern oder Risiken einzugehen – verschärft diese Probleme. Wenn Teams in einer Kultur der Angst und des Misstrauens arbeiten, leidet die Zusammenarbeit, kommt die Innovation zum Erliegen und hat die Organisation Schwierigkeiten, eigentlich sinnvolle Veränderungen auch umzusetzen.
Um diese destruktiven Verhaltensweisen zu bekämpfen und Veränderungen in großen Organisationen zum Erfolg zu führen, müssen Führungskräfte:
- Transparenz fördern: Fördern Sie offene Kommunikation, geben und fordern Sie Feedback und stellen Sie sicher, dass alle Beteiligten Zugang zu den Informationen haben, die sie benötigen.
- das mittlere Management in die Verantwortung nehmen: Legen Sie klare Erwartungen an das Verhalten des mittleren Managements fest und gehen Sie schnell gegen Fehlverhalten vor, um Lernen und Verbesserungen zu fördern.
- eine Kultur des Vertrauens aufbauen: Fördern Sie psychologische Sicherheit, indem Sie unterschiedliche Perspektiven wertschätzen, Zusammenarbeit belohnen und Schuldzuweisungen vermeiden.
4. Diese drei zusätzlichen Regeln beachten
Entwickeln Sie eine Vision für den Wandel: Jedes Veränderungsprojekt, jede Transformation braucht eine Vision. Diese Zukunftsbilder sollten emotional sein. Deshalb sind sie Teil der sozialen und emotionalen Aspekte von Veränderungen. Visionen enthalten einen starken Wunsch. Zugegeben, sie sind recht unspezifisch. Aber sie geben allen Beteiligten eine klare Richtung vor. Denken wir nur an John F. Kennedys Rede „Wir haben uns entschlossen, zum Mond zu fliegen“.
Entlasten Sie das mittlere Management: Jede Organisation ist darauf angewiesen, dass ihre Führungskräfte der mittleren Ebene(n) Veränderungen in einer großen Organisation umsetzen. Sie sind es, die mit ihren Teams über die Transformation kommunizieren und sie aktiv einbeziehen – zusätzlich zu ihrem ohnehin schon anspruchsvollen Tagesgeschäft. Dies erfordert maßgeschneiderte und schnell verständliche Materialien für das mittlere Management.
Starten Sie das Change Management rechtzeitig: Viel zu oft wird internes oder externes Change Management (wie die viadoo Change Guides) erst Monate oder sogar Jahre (sic) nach dem Start eines Veränderungsprojekts hinzugezogen. Leider haben in der Zwischenzeit viele Mitarbeiter das Unternehmen verlassen oder ihr Vertrauen und ihre Loyalität verloren. Wenn es dann endlich soweit ist, Veränderungen zu steuern, besteht die dringendste Aufgabe darin, das Vertrauen zwischen Führungskräften und Beschäftigten wiederherzustellen. Das kostet viel Zeit und verzögert die effektive Umsetzung der Transformation. Und es führt unweigerlich zu weiteren internen Konflikten.
Ein ganzheitlicher Ansatz für das Change Management
Das Scheitern von Veränderungsprojekten in großen Organisationen ist selten auf eine schlechte Strategie oder fehlende Ressourcen zurückzuführen. Häufiger liegen die Ursachen darin, wie Veränderungen auf menschlicher Ebene gemanagt – oder falsch gemanagt – werden. Indem sie typische Reaktionen mit Empathie begegnen, Veränderungsmüdigkeit reduzieren und destruktives politisches Verhalten eindämmen, können Organisationen einer erfolgreichen Transformation den Boden bereiten.
Für Führungskräfte bedeutet dies, über technische Pläne hinauszugehen und sich auf die Menschen zu konzentrieren, die die Veränderungen vorantreiben. Wenn Beschäftigte sich gehört, unterstützt und sicher fühlen, sind sie viel eher bereit, eine Neuerung anzunehmen und zu ihrem Erfolg beizutragen. In der schnelllebigen Welt von heute ist dieser ganzheitliche Ansatz für das Change Management nicht nur vorteilhaft, sondern geradezu unverzichtbar.
Übrigens: Wie haben die Mitglieder des Lean Excellence-Teams der Deutschen Bahn auf unsere Beiträge reagiert?
„One of the most valuable events I’ve been to so far, very well-founded, great comprehensibility, great practical relevance. Thank you very much!!!“
„Really great talk. Thank you very much.“ „Thanks for the examples. They make it more tangible! :-)“
Autor(en)
Dominik is founder of viadoo and has managed change and communication projects for SMEs as well as DAX corporations like Airbus, BMW, ESG, IABG, KMW, MTU, MTRI, OHB, RUAG, ZF. Based on his expertise, he is very familiar with the importance of the human factor for the success of change projects. The human side of transformation is close to his heart. Dominik combines certified change competence with multimedia storytelling expertise and operational change leadership experience with a high level of methodological competence.