Die Lage ist angespannt, die Erwartung hoch: Wenn Friedrich Merz an diesem Donnerstag zum Autogipfel ins Kanzleramt bittet, werden Bundesminister, die Ministerpräsidenten von Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen, OEMs, Zulieferer (die seit 20219 einen harten Change-Prozess durchlaufen) und die Arbeitnehmerseite am Tisch sitzen. Im Vorfeld kursiert ein verführerisch einfaches Heilsversprechen: Lockert die Politik endlich ihre Klimaregeln, kehren die Margen zurück, Arbeitsplätze bleiben erhalten. Doch diese Debatte führt am Kern vorbei. Entscheidend ist vielmehr, Fahrzeuge als Software-Defined-Vehicle (SDV) zu begreifen, die mittels OTA-Updates besser werden, Energie speichern, autonom fahren oder sich in On-Demand-Dienste einbinden lassen. Es genügt auch nicht, dass Entscheider diese „Software-auf-Rädern“-Revolution verstehen. Entscheidend wird sein, dass sie ihre Beschäftigten dazu motivieren, die damit verbundenen neuen Wege mitgehen zu wollen.
1. “Software-auf-Rädern” scheitert am Faktor Mensch
Schauen wir dazu auf den größten Autokonzern Europas und größten Autohersteller der Welt nach Umsatz (2023): Die Volkswagen AG wollte mit der Entwicklungseinheit Cariad eine zentrale Software-Schmiede aufbauen. Das war der richtige Ansatz: Eine Software für über zehn Mio. Fahrzeuge im Jahr. Doch dieser Teil der Digitalen Transformation scheiterte. Die über 6.000 Beschäftigten sowie weitere Tausende bei externen Dienstleistern konnten kein fehlerarmes System programmieren. Es kam zu Verspätungen bei neuen Modellen sowie zu Fehlerbehebungen nach deren Markteinführung. McKinsey bezifferte den dadurch entstandenen Schaden 2021 auf zehn Mrd. Euro. Als Konsequenz und Alternative zu Cariad startete Volkswagen-CEO
Diese Digitale Transformation bei Volkswagen scheiterte bislang am Faktor Mensch: Zum einen prallte die agile Start-up-Mentalität und Fehlerkultur der neuen Programmierer auf die hierarchisch und von Mikromanagement geprägte Konzern-Kultur des Mutterhauses. Das galt auch für etliche Manager, die von dort stammten. In vergleichbaren Fällen wird diese Gruppe häufig mit einer Rückkehr-Garantie ausgestattet, was zudem eine Identifikation mit dem neuen Unternehmen weder fordert noch fördert. Zum anderen erzeugte der schnelle Aufwuchs auf über 6.000 Beschäftigte all die menschlichen Herausforderungen der Wachstumsphasen nach Larry E. Greiner.
2. Autos und das integrierte Mobilitäts-Ökosystem
Wer eine wettbewerbsfähige deutsche Automobilindustrie möchte, muss das Auto außerdem als ein wichtiges Element eines integrierten Mobilitäts-Ökosystems betrachten. Ein System, in dem Nutzern das von ihnen benötigte Verkehrsmittel genau zur richtigen Zeit zur Verfügung steht. Wie dieses „große Ganze“ aussehen kann, war – abseits der großen Blech-Laufstege – auf der IAA Mobility 2025 zu erleben.
Dort am Königsplatz in München war Mobilität nicht mehr ein Nullsummenspiel zwischen Auto und ÖPNV, sondern ein Miteinander. Die DB Regio zeigte mit der Initiative „Zukunft Nahverkehr“, wie sich öffentliche Verkehrsmittel, Carsharing und bedarfsgesteuerte Shuttles über multimodale Apps, Buchungsplattformen und Mobilitäts-Hubs zu durchgängigen Reiseketten verbinden lassen. Das Auto wird in dieser Welt zum flexiblen Baustein: Es ergänzt, statt zu verdrängen; es verbindet, statt zu trennen. Für OEMs heißt das: Hardware-Exzellenz bleibt Pflicht, entscheidend ist jedoch die Fähigkeit zur Integration.
Alle Bilder: © Faust / viadoo GmbH
3. Was bedeutet das für die Beschäftigten?
Und was bedeutet die „Software-auf-Rädern“-Revolution für die Beschäftigten der Automobilindustrie? Viele erleben den Rollenwechsel vom Maschinenbau zur Architektur- und Softwarelogik als Identitätsbruch. Wer bislang über den perfekten Ventiltrieb definierte Exzellenz bewies, fragt sich, ob er oder sie in einer Welt aus Zonenknoten, Middleware und Safety Requirements noch gebraucht wird. Diese Fragen berühren Status, Zugehörigkeit und Stolz. Führung muss hier psychologische Sicherheit schaffen, Lernräume öffnen und zugleich wertschätzen, dass ohne das Erfahrungswissen der „Hardware-Generation“ auch die neue Elektronik- und Softwarewelt nicht robust wird. In den Werken ist die Angst greifbar, dass weniger Teile und mehr Automatisierung weniger Arbeitsplätze bedeuten. Hinzu kommen Sicherheitsfragen rund um Hochvolt-Systeme und Batteriemontage, die unter Zeit- und Kostendruck nicht „nebenbei“ zu lösen sind.
Beschäftigte aus dem Bereich Marketing & Vertrieb
Für Beschäftigte im Vertrieb und Marketing verschiebt sich das Selbstverständnis vom schnellen Abschluss hin zum Management von Lebenszyklen: Subscriptions, Features-on-Demand, Energie- und Flottenservices klingen nach Chancen, fühlen sich für Teams zunächst aber wie Kontrollverlust an – neue Metriken, neue Kanäle, neue Verantwortlichkeiten. Erst wenn klare Erfolgskriterien und eine ehrliche Befähigung für datenbasierte, beratende Rollen vorliegen, entsteht wieder Stabilität.
Beschäftigte aus dem Bereich After-Sales
Im After-Sales-Bereich wiederum trifft der Wandel mitten ins Herz der beruflichen Identität: Wenn Over-the-Air- (OTA) Updates Probleme beheben, droht das Gefühl, weniger „gebraucht“ zu werden. Parallel steigt die Verantwortung für sichere Prozesse an Batterie und Hochvolt. Hier zählt, dass Unternehmen Prävention sichtbar anerkennen, Ausbildung bezahlen und neue Laufbahnen schaffen etwa für Remote-Diagnose und Batteriegesundheit, die den Stolz aufs eigene Können in die neue Welt übersetzen.
Beschäftigte aus dem Einkauf & Lieferkette
Und in Einkauf und Supply Chain schließlich wirken Nachfrage-Whiplash, der moralische Druck, langjährige Lieferantenbeziehungen zu lösen, und die ständige Schuldzuweisung bei Engpässen wie ein sozialer Zentrifugeffekt. Resilienzarbeit verdient Sichtbarkeit und Leitplanken, sonst siegt kurzfristiger Transaktionszwang über strategische Partnerschaft.
4. Die technische und die humane Seite integrieren
Über alle Funktionen hinweg zeigen sich dieselben Muster: Verlustängste und Trauer, weil Vertrautes endet. Statusverschiebungen, die auch in den Teeküchen Wellen schlagen. Zugehörigkeitsdefizite, wenn eingespielte Gruppen auseinanderfallen. Veränderungsmüdigkeit, wenn zu viele Projekte gleichzeitig laufen. Das „Survivor-Syndrom“ derer, die nach einem Abbau weiterarbeiten müssen, aber ohne Neujustierung der Belastungen und des Sinns aufgerieben werden. Diese Dynamiken verschwinden nicht durch bessere Folien. Sie wollen benannt, geordnet und bearbeitet werden.
Genau hier setzt wirksames Change-Management an. Es beinhaltet eine Change-Architektur, die die technische und die humane Seite zusammenführt. Change-Verantwortliche entwickeln eine nachvollziehbare Dringlichkeits-Story, sichern Mitbestimmung frühzeitig ab und orchestrieren Maßnahmen so, dass sie sich nicht gegenseitig überlasten. Segmentierte Dialoge, die den unterschiedlichen Phasen der Veränderungskurve gerecht werden, ersetzen Einheitskommunikation. Change-Management setzt
5. Chefsache für Top-Entscheider
Der Autogipfel beim Kanzler sollte daher weniger über Ausnahmen vom Klimaschutz diskutieren als über die Fähigkeit von Managern und Politikern, Mobilität als Ökosystem zu begreifen. „Software-auf Rädern“-Kompetenz wäre dann als Kernleistung verankert, das Auto würde als individuelle Ergänzung zum ÖPNV verstanden und die humane Seite dieser Transformation wäre überall Chefsache.
Autor(en)
Dr. Dominik Faust ist Gründer der viadoo GmbH. Als Top-Management-Berater mit langjähriger Führungserfahrung entwickelt er seit Jahren Change- und Kommunikationskonzepte für KMUs und DAX-Konzerne und setzt sie erfolgreich um. Mit der Bedeutung des Faktors Mensch für den Erfolg von Veränderungsprojekten ist er bestens vertraut. Die menschliche Seite der Transformation liegt ihm daher besonders am Herzen. Dominik verbindet zertifizierte Veränderungskompetenz mit multimedialer Storytelling-Expertise und operativer Change-Leadership-Erfahrung mit hoher Methodenkompetenz.












