Was anfangs mit schnellen Entscheidungen und enger Zusammenarbeit funktioniert, gerät bei größerer Teamgröße ins Stocken. Führung wird komplex – nicht nur organisatorisch, sondern vor allem menschlich. Das Wachstumsmodell von Larry E. Greiner beschreibt diesen Verlauf in sechs Phasen – unterbrochen von fünf typischen Krisen. Genau in diesen Übergängen entscheidet sich, ob ein Unternehmen seine Skalierung nachhaltig meistert oder in internen Reibungen steckenbleibt.
In diesem Beitrag zeigen wir, welche Herausforderungen auf Führungskräfte zukommen und wie sie sie lösen. Mit dabei: praxisnahe Einblicke von Stephan Neumann, CEO von BERNS Engineers, der in der aktuellen Folge unseres viadoo ChangeCAST offen über seine Wachstums-Erfahrungen berichtet.
Inhalt:

1. Führungskrise: Wenn Gründer loslassen müssen
Typische Herausforderungen: In der Anfangsphase eines Start-ups treffen die Gründer alle Entscheidungen – und natürlich machen sie auch die ganze Arbeit. Alle Beteiligten sind intrinsisch motiviert, Führung und Kommunikation verlaufen informell. Jeder hat ein hohes Maß an Freiheit. Aber wenn das Team wächst, wird dies zu einem Engpass. Die Kommunikation und die Arbeit verlangsamen sich. Entscheidungen werden hinausgezögert. Teams warten auf Anweisungen.
Empfehlungen von Stephan Neumann:
- Um zu verhindern, dass das Unternehmen von ihm abhängig wird, hat er schon früh Geschäftseinheiten gegründet. Dadurch konnte das Team viele Kundenprojekte parallel abarbeiten.
- Außerdem ermutigte er seine Kollegen, freiwillig interne Aufgaben zu übernehmen – etwa von solchen einer Personalabteilung wie die Planung von Schulungen oder die Reisekoordination und Compliance-Themen – je nach ihren persönlichen Interessen. So wurde die Verantwortung verteilt, ohne dass starre Hierarchien nötig waren.
Weitere Tipps für Führungskräfte:
- Erkennen Sie, wann Sie die Engstelle sind.
- Delegieren Sie nicht nur Aufgaben, sondern auch Autorität.
- Schaffen Sie Strukturen, in denen andere führen können – mit klaren Vorgaben und Vertrauen.
2. Autonomiekrise: Freiheit wird zu Fragmentierung
Typische Herausforderungen: Durch neuer Geschäftseinheiten und das Einziehen mittlerer Führungsebenen entstehen Hierarchie und eine formelle Kommunikation, Freiheitsgrade sinken. Start-ups werden zu KMUs. Infolgedessen verlangen mittlere Führungskräfte mehr Freiraum. Sie brauchen Autonomie, um zu führen, folgen ihren eigenen Regeln, driften in Silos und agieren in unterschiedliche Richtungen. Der Zusammenhalt des Unternehmens leidet.
Tipps für Führungskräfte:
- Fördern Sie die Autonomie, aber bauen Sie Brücken zwischen den Teams.
- Funktionsübergreifende Rollen und gemeinsame Verantwortlichkeiten können die Kommunikation und die Abstimmung über Silos hinweg fördern.
3. Kontrollkrise: Werte und Orientierung verblassen
Typische Herausforderungen: Wenn KMUs expandieren, verschwimmen allmählich die gemeinsamen Werte und Ziele. Unterschiedliche Auslegungen von Kultur und Prioritäten führen zu Reibungen, und mittlere Führungskräfte müssen oft ohne ausreichende Unterstützung führen. Es kommt zu einem Verlust an Koordination und Konsistenz.
Empfehlungen von Stephan Neumann:
- Seine Geschäftseinheiten waren zwar effektiv, begannen aber, ihre eigenen Kulturen zu entwickeln. Die Zuweisung interner Rollen in den Teams half dabei, die Menschen wieder zusammenzubringen und die Kultur kohärent zu halten.
- Als Stephan spürte, dass der gemeinsame Unternehmenszweck aus dem kollektiven Bewusstsein schwand, begann er mit tatkräftiger Hilfe von viadoo-Partnerin und Diplom-Psychologin Verena Schinerl, ein starkes Unternehmensleitbild im Team zu entwickeln.
- Verena unterstützte auch das Führungsteam von BERNS mit Schulungen in psychologischer Sicherheit, Kommunikation und Konfliktmanagement. Das hat dazu beigetragen, die Führung als verbindende Kraft wieder zu verankern.
Weitere Tipps für Führungskräfte:
- Verlassen Sie sich nicht allein auf die Struktur. Investieren Sie in die Definition und Verstärkung Ihrer Werte.
- Bieten Sie Führungstraining und Kommunikationswerkzeuge an, die dazu beitragen, mit Klarheit, Empathie und Zielstrebigkeit zu führen.
4. Bürokratiekrise: Prozesse lähmen statt zu unterstützen
Typische Herausforderungen: Kleine und mittlere Unternehmen wachsen weiter und werden zu großen Unternehmen oder sogar Konzernen. Die Grenzen des internen Wachstums sind erreicht. Die Komplexität nimmt zu, ebenso die Regeln, Formulare und Genehmigungen. Alles muss dokumentiert, genehmigt und doppelt geprüft werden. Die Entscheidungsfindung verlangsamt sich. Die Mitarbeiter fühlen sich wie Rädchen in einer Maschine. Was eigentlich für Struktur sorgen sollte, erstickt am Ende die Kreativität und Beweglichkeit. Moral und Identifikation sinken.
Tipps für Führungskräfte:
- Überprüfen Sie Ihre Prozesse regelmäßig mit einem funktionsübergreifenden Team. Sind bestimmte Prozesse noch relevant? Was ist wirklich wertschöpfend?
- Ermöglichen Sie Entscheidungsfreude auf den unteren Ebenen, indem Sie eine Risikotoleranz entwickeln. Sagen Sie Ihrem Team: „Wir können kluge Fehler tolerieren. Trägheit können wir nicht tolerieren.“
- Ersetzen Sie Überregulierung durch agile Prinzipien. schlanke Pilotprojekte, klare Rahmen für die Entscheidungsfindung sowie durch Flexibilität, wo es darauf ankommt.
5. Komplexitätskrise: Vernetzung braucht neue Formen
Typische Herausforderungen: Spätestens wenn die Grenzen des organischen Wachstums erreicht sind, schmieden Unternehmen Allianzen und arbeiten über Länder, Abteilungen und Projektteams hinweg in Netzwerken. Die Zuständigkeiten werden unklarer und der Koordinationsaufwand explodiert. Alles ist miteinander verbunden – und kaum einer weiß, wer genau noch für was zuständig ist. Kommunikation dreht sich oft im Kreis. Entscheidungen verzögern sich. Es kommt zu Konflikten und zu doppelter Arbeit. Das ist typisch für große Organisationen.
Tipps für Führungskräfte:
- Verwenden Sie die RACI-Matrix proaktiv. Sie hilft Ihnen, klar zu definieren, wer für was verantwortlich ist – insbesondere bei Umstrukturierungen oder funktionsübergreifenden Initiativen. RACI steht für:
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R = Responsible – Wer erledigt die Aufgabe?
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A = Accountable – Wer trägt die Verantwortung?
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C = Consulted – Wer muss eingebunden werden?
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I = Informed – Wer muss informiert werden?
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Warum die RACI-Matrix wichtig für Führungskräfte ist:
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Sie verhindert doppelte Arbeit und Schuldzuweisungen
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Sie fördert das Erwartungsmanagement in großen Teams
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Sie stärkt Entscheidungsfindung und Verlässlichkeit
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Sie ist besonders nützlich bei Skalierungs-, Umstrukturierungs- oder Veränderungsprojekten
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- Schaffen Sie sog. „Single Points of Truth“: Weisen Sie jedem Projekt, Prozess und KPI eine klare Verantwortlichkeit zu, selbst bei sich überschneidenden Strukturen. Verwenden Sie Dashboards oder gemeinsame Dokumentationen, um „Versionskriege“ bei Dokumenten zu verhindern.
- Nutzen Sie OKRs (Objectives & Key Results) oder vergleichbare Methoden, um Teams zu fokussieren und Überschneidungen zu reduzieren.
ChangeCAST mit Stephan Neumann (Video)
Wie genau führt man ein schnell wachsendes Unternehmen durch die kritischen Phasen des Wachstums? In dieser Folge des viadoo ChangeCAST sprechen wir genau über dieses Thema, basierend auf den Wachstumsphasen von Larry E. Greiner. Unser Gast: Stephan Neumann, CEO der BERNS Engineers GmbH, der den Sprung vom Start-up zum mittelständischen Unternehmen geschafft hat. In nur acht Jahren hat sich das Team vervierfacht und die klassischen Wachstumsschmerzen durchlebt. Im Gespräch mit ChangeCAST-Moderator Dr. Dominik Faust und Dipl.-Psych. Verena Schinerl beschreibt Neumann offen, wie er die wachsende Komplexität gemeistert hat, insbesondere mit der Einrichtung von Geschäftsbereichen, der Delegation interner Aufgaben und mit dem Etablieren gemeinsamer Werte. Kompakt. Praxisnah. In 30 Minuten.

Autor(en)
Dominik is founder of viadoo and has managed change and communication projects for SMEs as well as DAX corporations like Airbus, BMW, ESG, IABG, KMW, MTU, MTRI, OHB, RUAG, ZF. Based on his expertise, he is very familiar with the importance of the human factor for the success of change projects. The human side of transformation is close to his heart. Dominik combines certified change competence with multimedia storytelling expertise and operational change leadership experience with a high level of methodological competence.